Es gehört wohl zu den Besonderheiten der Historiographie über die Zeit der Achsenherrschaft (1941-1944)
und des Bürgerkriegs in Griechenland (1946-1949), dass der Nestor der Okkupations- und Bürgerkriegsforschung ausgerechnet ein deutscher Historiker ist, also jemand, der aus dem Land der ehemaligen Besatzungsmacht stammt. Die Rede ist von Heinz Richter. Auf den zweiten Blick jedoch erscheint diese Besonderheit nicht so widersprüchlich. Bis zum Sturz der Obristen-Diktatur 1974 war die Zeit der Bürgerkriege ein gesellschaftliches Tabu in Griechenland; an den Universitäten war Zeitgeschichte eine unbekannte Disziplin, und die Historiker hatten keinen Zugang zu den Archiven. Die betont antikommunistische Ideologie der "Sieger", also des bürgerlichen und konservativen Lagers, war vorherrschend und ließ keine andere Interpretation der damaligen Ereignisse in der Öffentlichkeit zu. Geforscht wurde ausschließlich im Ausland, in den USA, in England und Deutschland. Dies galt für griechische wie für ausländische Wissenschaftler.
Heinz Richter (geb. 1937) verdankt die griechische Forschung die erste wissenschaftliche Gesamtdarstellung über die deutsche, italienische und bulgarische Okkupation. [1] In seinem Erstlingswerk erreichte Richter zweierlei: zum einen, das Archivgut der Wehrmacht auszuwerten, zum anderen, der Verteufelung der linksgerichteten Widerstandsbewegung EAM (Nationale Befreiungsfront) durch das antikommunistische Lager Paroli zu bieten. Als Hauptverantwortlichen für das griechische Bürgerkriegsdrama machte Richter Großbritannien aus. Das Beharren Winston Churchills auf der Rückkehr des griechischen Exilkönigs Georg II. nach Athen im Herbst 1944, ohne auf die Ansichten der Guerillabewegung Rücksicht zu nehmen, sei die Wurzel allen Übels. Neben dem britischen Restaurationskurs, so Richter weiter, habe die starre, dogmatische Haltung der stalinistischen Führung der KKE (Kommunistische Partei Griechenlands), welche die "Unabhängigkeit" und den "liberalen" Charakter der EAM erdrosselte, Churchills Plänen - wenn auch ungewollt - immensen Vorschub geleistet.
Beiden Thesen blieb Richter in seinen weiteren Werken treu. Auch in seinem neuesten Buch über die Zeit der Bürgerkriege weicht er im Grunde von seinen früheren Erkenntnissen nicht ab. Doch diesmal beschränkt er sich nicht auf die Besatzungsjahre oder die Zeit unmittelbar nach dem Varkiza-Abkommen [2], sondern er weitet seinen Blick auf die so genannte "dritte Runde" des Bürgerkriegs (1946-1949) zwischen den Regierungstruppen (Nationale Armee) und den kommunistischen Rebellen (Demokratische Armee) unter dem berüchtigten "General Marko". Insofern handelt es sich um die erste wissenschaftliche Gesamtdarstellung der vierziger Jahre unter dem Gesichtspunkt des Bürgerkriegs.
Wie dem Titel zu entnehmen ist, geht Richter von der (richtigen) These aus, dass zwischen 1940 und 1950 mehrere Bürgerkriege stattgefunden haben. Die "erste Runde" begann im Herbst 1943 in Epirus zwischen der rechtsgerichteten Guerillabewegung EDES (Nationale Republikanische Griechische Liga) von Oberst Napoleon Zervas und der kommunistisch geführten ELAS (Griechische Volksbefreiungsarmee). Die "zweite Runde" folgte im Dezember 1944, als britische Truppen in Athen militärisch intervenierten und die ELAS zur Kapitulation zwangen. Die "dritte Runde" (1946-1949), die den Höhepunkt der bewaffneten Auseinandersetzung bildete, endete mit dem Sieg der königlichen Streitkräfte über die Demokratische Armee. Das Ergebnis war der jahrzehntelange Ausschluss der kommunistischen Linken aus dem politischen Leben und die Konsolidierung autoritärer Herrschaftsverhältnisse.
Das Erklärungsschema Richters für die drei Runden ist nicht neu: Entwickelt wurde es von konservativen Autoren, welche die drei gewaltsamen Machtergreifungsversuche der KKE akzentuieren wollten. Zwar übernimmt Richter das Modell der drei bewaffneten Runden, gibt ihnen aber eine andere Bedeutung. Für den deutschen Historiker sind nicht die angeblichen Machtgelüste der KKE, sondern die strategischen Interessen des britischen Empires im östlichen Mittelmeer maßgebend. London, so Richter, habe im besetzten Griechenland eine Politik des divide et impera verfolgt, um die republikanisch orientierte Résistance zu spalten und die Monarchie ohne Widerstand zu oktroyieren, denn die Rettung des Thrones hätte in der Nachkriegszeit die Existenz eines englandfreundlichen Regimes gesichert. Die KKE sei in die britische Falle getappt; anstatt die Kooperation mit den nichtkommunistischen Widerstandsorganisationen zu suchen, habe sie einen Konfrontationskurs verfolgt, der letztlich in eine katastrophale Niederlage mündete. Als Großbritannien 1947 seine Führungsrolle in Griechenland aufgeben musste, sprangen die USA an seine Stelle. Die massive US-Unterstützung für die Athener Regierung sowie gravierende Fehler des Generalsekretärs der KKE, Nikos Zachariadis (etwa die Verwandlung der Demokratischen Armee von einer Partisanenstreitmacht in eine reguläre Armee), haben den Bürgerkrieg zugunsten des bürgerlichen Staates entschieden.
Richters Positionen rufen jedoch Widerspruch hervor: Die "erste Runde" des Bürgerkriegs war keine lokal begrenzte Auseinandersetzung zwischen ELAS und EDES. Zur gleichen Zeit (Herbst 1943) tobte der Bürgerkrieg in Makedonien und auf der Peloponnes zwischen ELAS und den nichtkommunistischen Organisationen PAO (Panhellenische Befreiungsorganisation) und ES (Griechische Armee). Die Fokussierung auf den Konflikt zwischen EDES und ELAS blendet zudem die bewaffnete Auseinandersetzung der ELAS mit den kollaborierenden "Sicherheitsbataillonen" (Tagmata Asfaleias) im Jahre 1944 aus. Bezüglich der "zweiten Runde" ist fraglich, ob die ELAS auf eine friedliche Demobilisierung und ein Arrangement mit der "Regierung der nationalen Einheit" vorbereitet war. In seinen Erinnerungen beispielsweise gibt der ranghohe KKE-Funktionär Giannis Ioannidis zu, dass die Partei es auf die Machtergreifung abgesehen hatte und den bewaffneten Konflikt mit den Briten riskierte.
In seiner Darstellung der "dritten Runde" schildert Richter sehr eindrucksvoll die politischen und militärischen Phasen des Konflikts, wobei er die Meinungsdivergenzen innerhalb der kommunistischen Führung aufmerksam verfolgt (304-307). Zu Recht hebt er die Bedeutung des "amerikanischen Faktors" für den Ausgang des Bürgerkriegs hervor (234). Zugleich aber wird das Ausmaß der geheimen militärischen und finanziellen Hilfen der Sowjetunion und der drei benachbarten "Volksdemokratien" (Jugoslawien, Albanien und Bulgarien) für die Demokratische Armee nicht in seiner ganzen Dimension erfasst (297-303). Andere Forschungen bestätigen die Vermutungen der damaligen Führung der Nationalen Armee über die enge Zusammenarbeit der KKE mit den jugoslawischen, albanischen und bulgarischen Genossen. [3] Ohne ihre revolutionäre Solidarität hätte die KKE tatsächlich kaum eine Chance gehabt, den bewaffneten Aufstand zu proben - geschweige denn zwei Jahre lang zu führen.
Neben den Hauptsträngen der Bürgerkriegsentwicklung behandelt Richter eine Reihe weiterer Themen wie das so genannte Paidomazoma (313-320), also die Entführung von Kindern vermeintlicher Guerilla-Kämpfer, ferner die Errichtung des berüchtigten Konzentrationslagers auf Makronisos (321-330) und die Makedonische Frage (401-409), welche die Beziehungen zwischen den kommunistischen Parteien auf dem Balkan im letzten Bürgerkriegsjahr enorm belastete und die KKE der griechischen Gesellschaft entfremdete. Auf diese Weise gelingt es ihm, ein beeindruckendes Gesamtpanorama der vierziger Jahre zu zeichnen und ein spannendes Standardwerk zur griechischen Geschichte vorzulegen.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Heinz Richter: Griechenland zwischen Revolution und Konterrevolution (1936-1946), Frankfurt am Main 1973.
[2] Das Varkiza-Abkommen, das im Februar 1945 zwischen Delegierten der KKE und der Athener Regierung unterzeichnet wurde, beendete die "zweite Runde" des Bürgerkriegs.
[3] Vgl. Nikos Marantzides: Demokratische Armee Griechenlands 1946-1949, Athen 2010.
Vaios Kalogrias
Αναδημοσίευση από http://www.sehepunkte.de/2013/02/22396.html
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